Wie verändern 3D-gedruckte Medikamente die Medizin?

Der Fortschritt in der sogenannten personalisierten Medizin schreitet jeden Tag weiter voran und wird dank der 3D-Technologien weiter zunehmen. Gegenwärtig ist einer der Hauptanwendungsbereiche des 3D-Drucks zweifellos der medizinische Sektor, wo der 3D-Druck für die Entwicklung von Prothesen, Implantaten und sogar 3D-biogedruckten Organen herangezogen wird. Eine der wichtigsten Entwicklungen in diesem Bereich ist auch der 3D-Druck von Medikamenten, ein weiterer großer Fortschritt, der uns der patientenfreundlichen Medizin noch näher bringt und die medizinische Behandlung radikal verändern könnte. Heute werden wir uns auf die Lösung einiger der Hauptfragen im Zusammenhang mit der Herstellung von der 3D-gedruckte Medikamente konzentrieren: Worin bestehen die aktuellen Produktionsverfahren? Wo steht der Druck von Medikamenten heute? Und was wird ihre Markteinführung für die Pharmaindustrie bedeuten?

Millionen von Menschen nehmen heute täglich verschreibungspflichtige Medikamente zur Behandlung einer Vielzahl von Krankheitsbildern ein. Aufgrund der Massenproduktion von Tabletten konsumieren wir oft höhere Dosen als empfohlen. Laut dem Entwicklerteam von Multiply Labs, einem Hersteller von pharmazeutischen Filamenten zur Herstellung von 3D-Kapseln sind vor allem Kinder und Frauen von den zu hohen Dosen betroffen: „Gegenwärtig werden die meisten Medikamente speziell für erwachsene Männer entwickelt, was dazu führen kann, dass vordergründig Frauen und Kinder eine Überdosis gemessen an ihrem Körpergewicht einnehmen“, sagte Fred Paretti, CEO des Startups. Diese Erklärung hebt die Wichtigkeit der personalisierten Medizin hervor, insbesondere weil die falsche Dosierung bestimmter Wirkstoffe sogar zur Fehlfunktion in der Behandlungen führt.

Statistiken zum Markt für 3D-gedruckte Medikamente aus dem Jarh 2023. Bis 2030 sollte der Markt jährlich um ca. 8% anwachsen (Bild Maximize Market Research)

Wenn wir die Entwicklung von 3D-gedruckten Medikamenten genauer betrachten, wird klar, dass die Zukunft vielversprechend aussieht. Laut einer Studie von Maximize Market Research lag der weltweite Marktwert von 3D-gedruckten Medikamenten 2023 bei 334,30 Millionen  US-Dollar. In den nächsten Jahren sei aber von einer jährlichen Wachstumsrate von 8 – 9 % auszugehen und somit soll die Größe des Marktes bis 2030 bei geschätzt 575,54 Millionen US-Dollar liegen. Diese Schätzwerte zeigen, dass in diesem Bereich viel Bewegung stattfindet, getrieben von Forschung und Entwicklung von 3D-Techniken.

Die Anfänge von 3D-gedruckten Medikamenten

Im Jahr 2015 kam das erste 3D-gedruckte Medikament auf den Markt: Spritam, eine Pille, die mit der Pulverbett-Technologie hergestellt und zur Behandlung von Epilepsie eingesetzt wurde. Es war auch das erste von der FDA zugelassene Medikament. Diese erste Entwicklung von Aprecia Pharmaceuticals öffnete die Tür zur Herstellung maßgeschneiderter Pillen, die für jeden Patienten eine andere Dosis ermöglichten.

Spirtam ist der Name des ersten 3D-gedruckte Medikaments (Bild: Aprecia Pharmaceuticals)

Ausgehend von Studien an der National University of Singapure zum Kombinieren mehrerer Medikamente in einer Pille begann das Startup Multiply Labs 2016 mit der Herstellung von pharmazeutischen Filamenten für den 3D-Druck von Pillen mit programmierter Wirkungsfreigabe. Obwohl das Startup zu Beginn plante, personalisierte Medikamente für die Krebsbehandlung herzustellen, konzentrierte es sich aufgrund der Hürden durch die Arzneimittelbehörde dann doch auf die Fertigung von 3D-gedruckten Nahrungsergänzungsmitteln.

Auch traditionelle Phramaunternehmen wenden sich hin zu neuen Technologien. Die Merck-Gruppe aus Darmstadt zählt zu den ältesten pharmazeutischen und chemischen Unternehmen weltweit und hat die EOS-Tochtergesellschaft AMCM 2020 damit beauftragt, mithilfe von SLS maßgeschneiderte Medikamente zu fertigen. Merck sah im 3D-Druck bedeutende Potentiale zur Personalisierbarkeit und zur kostengünstigen und schnellen Fertigung solcher Medikamente.

Ein Unternehmen, das die Ausschöpfung dieser Potentiale ebenfalls zur Tagesordnung gemacht hat, ist das 2015 gegründete Triastek. Bereits 2022 ging das 3D-gedruckte Herz-Kreislauf-Medikament T20 durch Genehmigung der FDA  (Food and Drug Administration, USA) in die Testphase für klinische Studien. Erst kürzlich (2024) erhielt auch das Magenretention-Produkt T22 die Zulassung und ist damit das erste seiner Art.

Seit den Anfängen rund um 3D-gedruckte Medikamente, haben sich immer mehr Einrichtungen und Phramaunternehmen damit beschäftigt und so finden wir heutzutage eine Vielzahl an Startups und innovativen Unternehmen, die den 3D-Druck für die Entwicklung von individualisierten Medikamenten heranziehen. Dies ist auch durch den Fortschritt der Technologie bedingt. Werfen wir also einen Blick darauf, wie solche Medikamente gedruckt werden!

Medikamente von Multiply Labs ermöglichen kontrollierte Wirkstofffreisetzung (Bild: Multiply Labs)

Wie können 3D-gedruckte Medikamente gefertigt werden?

Seit der Markteinführung des ersten 3D-gedruckten Medikaments im Jahr 2015 hat die technische Entwicklung für die Herstellung per 3D-Druck weiter zugenommen. Der Pharmasektor hat die Grundlagen der bereits bekannten 3D-Drucktechnologien übernommen und für den Einsatz angepasst.

Schmelzschichtung (FDM)

Das FDM/FFF-Verfahren ist eines der am weitesten verbreiteten Verfahren für den 3D-Arzneimitteldruck. Mit Arzneistoffen beladene Filamente können für die Herstellung von Pillen verwendet werden. Eine der größten Herausforderungen dieser Technik besteht darin, die Extrusionstemperaturen so einzustellen, dass die Wirkstoffe der einzelnen Pillen nicht beeinträchtigt werden. „Das FDM-Verfahren ermöglicht die Herstellung von Kombinationen mehrerer Medikamente (Polypen) sowie von Tabletten mit verlängerter oder verzögerter Freisetzung“, erklärt Patricija Januskaite, Wissenschaftlerin des Pharmaunternehmens FabRx, dem Pharmaceutical Biotechnology Spin-out des University College of London (UCL).

Neben der Technik der Beladung von Filamenten mit Medikamenten gibt es auch die Möglichkeit, pharmazeutische Filamente zu verwenden, die das enthaltene Medikament nicht beeinträchtigen, wie dies bei den Entwicklungen von Multiply Labs der Fall ist, was auch die Herstellung von Kapseln mit kontrollierter Freisetzung ermöglicht: „Wir können in 3D ein Fach mit einer sehr dünnen Wand drucken, das das Produkt in etwa 30 Minuten freisetzen kann, und dann eine weitere Wand hinzufügen, die ein anderes Medikament in 2 Stunden freisetzen kann, alles in einer einzigen Kapsel. Wir können bis zu vier oder fünf separate Fächer in derselben Kapsel hinzufügen”, fügt Fred Paretti von Multiply Labs hinzu.

Mittlerweile ist es auch möglich, komplexe Formulierungen zu entwickeln, sodass sich die Materialien des Medikaments schnell auflösen. Das Projekt Deglumed aus dem Jahr 2023 zog so die Extrusionsmethode heran, um Medikamente für Personen mit Schluckbeschwerden zu entwickeln. Die verwendeten Filamente lösen sich im Mund schnell auf und die Filmtabletten sind einfach zu schlucken.

Technologien auf Extrusions-Basis kommen sehr häufig für den Druck von Medikamenten zum Einsatz (Bild: MB Therapeutics)

Direkte Pulverextrusion

Es handelt sich dabei um eine ähnliche Technik wie bei der Entwicklung des ersten gedruckten 3D-Medikaments: der ZipDose®. Es wird hauptsächlich zur Herstellung von Arzneimitteln mit einer hohen Arzneimittelbelastung und hohem Zerfall aufgrund der Porosität der Materialien verwendet. Die direkte Pulverextrusion als solche wurde von FabRx patentiert. Es handelt sich um die Extrusion eines Pulvermaterials (eine Mischung aus Wirk- und Hilfsstoffen) durch eine Düse mithilfe eines Einschneckenextruders. Diese Art von Medikamenten ermöglicht nach Angaben der britischen Pharmaindustrie eine Dosierung mit verlängerter oder verzögerter Freisetzung.

Stereolithographie (SLA)

Die Stereolithographie oder SLA verwendet eine Wärmequelle, um Photopolymere oder flüssige Harze zu verfestigen. Mit dieser Technologie können Medikamente in das Polymernetzwerk eingebunden werden, um mit Wirkstoffen beladene Pillen herzustellen oder um medizinische Geräte mit verzögerter Freisetzung zu entwickeln. Diese Technologie ist diejenige, die am besten die Kombination verschiedener Medikamente in derselben 3D-Kapsel ermöglicht.

Selektives Lasersintern (SLS)

Die Herstellung von 3D-gedruckten Medikamenten per SLS-Verfahren erfolgt durch das Mischen von Wirkstoffen mit bestimmten Copolymeren, die dann mithilfe eines Lasers verschmolzen werden. Der Einsatz dieser Technik ermöglicht die Herstellung von Medikamenten mit mehreren Eigenschaften: Sie können von Dosierungsformen mit kontrollierter Freisetzung bis hin zu organischen Formen reichen. Das Schicht-für-Schicht-Verfahren erlaubt es auch, den Wirkstoff pro Schicht zu modifizieren. Professor Simon Gaisford, Head of Pharmaceutics am University College London und Mitgründer von FabRx, erklärt: “Das selektive Lasersintern kreiert ein großes Potential in der Pharmaindustrie. Damit können Tabletten ohne Bindemittel (wie sie das Binder-Jetting-Verfahren einsetzt) hergestellt werden.

Mit SLS-Technologie von Sintratec hergestellte Medikamente (Bild: Sintratec)

Material Jetting

Obwohl diese Technik an das 2D-Druckverfahren erinnert, steht sie auch dem Pulverdruck (Binder Jetting) nahe. Bei der Arzneimittelherstellung werden Kombinationen aus Wirk- und Trägerstoffen oder Druckfarben durch die Düse auf die Druckplatte aufgetragen. Sie werden dann mit einem Pulversubstrat verfestigt, das abschließend besprüht wird. Ausgehend vom Material Jetting entwickelten Forscher der University of East Anglia 2019 das Hotmelt-Tropfen-3D-Druckverfahren, bei dem Tröpfchen durch einen Extruder mit piezogesteuertem, gepulstem Düsenverschluss aufgetragen werden. Dieses Jahr (2024) machte eine weitere auf Material Jetting basierende Technologie auf sich aufmersam, nämlich der Multi-Material-Inkjet-3D-Druck (MM-IJ3DP), welcher am Centre for Additive Manufacturing der Unviersität Nottingham entwickelt wurde. Eine lösliche Polymer-Tinte – Poly-ACMO – verfestigt sich bei der Aussetzung an ultraviolettes Licht und bildet innerhalb einer Tablette ein wasserlösliches Wirkstoffgerüst.

Wie dieses Beispiel aufzeigt, werden anhand der verschiedenen Verfahrensfamilien weitere Technologien erforscht, um die Entwicklung von sicheren und leistungsstarken 3D-gedruckten Medikamenten voranzutreiben.

Des Weiteren entwickeln junge Unternehmen mit ihren eigenen 3D-Druckverfahren auch die benötigte Hardware. Das Startup Craft Health hat für die Verarbeitung seiner Inhaltsstoffe und Materialien auch den dafür vorgesehenen 3D-Drucker CraftMake entwickelt und eine eigene Software. Mit dem FlexDosePrinter bietet auch das Startup DiHeSys einen phramatauglichen Drucker, welcher Medikamente sowohl im 2D- als auch im 3D-Druck herstellen kann und dabei entweder wirkstoffhaltige Tinten oder Filamente verarbeitet. Auch das junge französische MB Therapeutics entwickelte zum Druck von personalisierten Medikamenten einen eigenen Drucker, den Med-U Modular. Dieser ist der erste pharmazeutische 3D-Drucker in Industriequlität und beherrscht drei verschiedene Drucktechnologien.

Viele Unternehmen, wie Craft Health zum Beispiel, entwickeln nicht nur eine eigene Technologie zum Drucken von Medikamenten, sondern auch einen eigenen 3D-Drucker (Bild: Craft Health)

Vorteile und Herausforderungen

Die Vorteile von 3D-gedruckten Medikamenten sind vielfältig und zielen vor allem darauf ab, eine personalisierte medizinische Versorgung zu erreichen. Zum einen können 3D-gedruckte Pillen in Farbe, Geschmack und Beschaffenheit so angepasst werden, dass die Einnahme nicht mehr mit negativen Erlebnissen verbunden ist. Das betrifft vor allem Kinder und Personen mit Schluckbeschwerden. Indem die Tabletten per 3D-Druck und den verarbeiteten Materialien so gestaltet werden, dass sie leicht zu schlucken sind, kann die Medikamenteneinnahme positiv verbessert werden. Zum anderen liegt ein Vorteil auch in der flexiblen Gestaltung des Wirkungsprofils und der Wirkstofffreisetzung. Häufig zielen 3D-gedruckte Tabletten darauf ab, dass der Wirkstoff zu einer bestimmten Zeit freigesetzt wird, oder sogar mehrmals, um einen konstanten Wirkstoffspiegel aufrecht zu halten. Die betroffenen Personen sind dann beständig damit versorgt, obwohl sie nur eine Tablette am Tag schlucken müssen. In einem Medikament können außerdem verschiedene Wirkstoffe miteinander kombiniert werden. Dies bekämpft die Polypharmazie, ein Problem, das daruf beruht, dass pro Wirkstoff eine Tablette nötig ist. Personen, die auf mehrere Wirkstoffe zur Gesundung angewiesen sind, müssen so mitunter mehrere Tabletten täglich zu jeweils verschiedenen Zeitpunkten einnehmen, was ihre Lebensqualität und ihren Alltag bedeutend beeinflusst. Indem verschiedene Wirkstoffe mit unterschiedlichem Freisetzungsprofil in eine Tablette “gepackt” werden, kann das Problem behoben werden.

Innovative Ansätze für 3D-gedruckten Medikamente gibt es viele. Allerdings scheitern viele Projekte an den bestehenden Herausforderungen. Manchmal sind diese technologischer Natur, dass beispielsweise bestimmte Wirkstoffe nicht während des Drucks freigesetzt werden können. Ein viel größeres Hindernis stellt das Gesetz dar. Allgemein unterliegen Medikamente dem Arzneimittelgesetz und dessen strengen Vorschriften. Jede individuell gedruckte Pille stellt ein Problem für die Arzeniemittelbehörde dar, da es sich dabei um ein individuelles Medikament handelt, welches auch getestet werden müsste. Dies resultiert in endlosen Testungen und verlangsamt die Forschung.

Mit 3D-gedruckten Medikamenten kann die Polypharmazie bekämpft werden, indem mehrere Wirkstoffe in einer Tablette kombiniert werden, ohne dass diese über die Maßen groß ausfallen muss. (Bild: Merck Gruppe)

Wie sieht die Zukunft für gedruckte 3D-Medikamente aus?

3D-gedruckte Medikamente sind längst keine Neuheit mehr und die letzten zehn Jahre haben auf diesem Gebiet bedeutende Vorarbeit für zukünftige Innovationen geschaffen. Die erwähnten Zahlen zum Markt rund um 3D-gedruckte Medikamente veranschaulichen die Tendenz. In den nächsten Jahren werden also immer mehr Medikamente aus dem 3D-Drucker den Phramamarkt erobern und für klinische Studien zur Testung freigegeben werden.

Wennngleich die Forschung bestrebt ist, immer mehr Methoden für die Herstellung von personalisierter Medizin zu entwickeln, und auch die 3D-Technologien in diese Hinsicht verbessert werden, gilt es nun, die Einführung von 3D-gedruckten Medikamenten voranzutreiben. Dies könnte den Traum von der personalisierten Medizin Realität werden lassen. „In zehn Jahren wird kein Patient mehr dazu bereit sein, das Gleiche zu nehmen wie eine weitere Million Menschen. Und kein Arzt wird zwei Patienten das Gleiche verschreiben”, folgert Fred Paretti von Multiply Labs.

Was denken Sie über gedruckte Medikamente? Glauben Sie, dass diese den medizinischen Sektor nachhaltig beeinflussen wird? Lassen Sie uns dazu einen Kommentar da, oder teilen Sie es uns auf Facebook oder LinkedIN mit. Möchten Sie außerdem eine Zusammenfassung der wichtigsten Neuigkeiten im 3D-Druck und der Additiven Fertigung direkt und bequem in Ihr Postfach erhalten? Dann registrieren Sie sich jetzt für unseren wöchentlichen Newsletter. 

Sandra S.:

View Comments (1)

  • Es macht mir sorgen, dass das so voranschreitet. Nachher ist das jedem möglich. Ich finde, hier sollte viel mehr Vorsicht geboten werden. Nicht umsonst gibt es Cleanrooms. Da sollte man sich mal beraten lassen, bevor man medizinische Produkte anfertigt.

Related Post
Disqus Comments Loading...