Die industrielle additive Fertigung (AM) wächst und entwickelt sich stets weiter. In den letzten Jahren war eine Entwicklung besonders bedeutend für die Branche – die additive Fertigung mit Keramik. Technische Keramik bietet einzigartige Potentiale für den 3D-Druck, von extremer Hitzebeständigkeit bis hin zu außergewöhnlichem Korrosionsschutz. In Kombination mit der Designflexibilität und Präzision additiver Technologien sehen wir das Material als einen echten Game-Changer für Branchen wie Medizin, Luft- und Raumfahrt, Halbleiter und darüber hinaus.
Um die Potentiale der Keramik genauer zu durchleuchten, haben wir mit Malte Hartmann gesprochen, Entwicklungsingenieur bei Bosch Advanced Ceramics (BAC), einem Unternehmen der Bosch-Gruppe. BAC ist ein Auftragsfertiger, der sich auf industrielle Keramik-AM spezialisiert hat und eine klare Mission verfolgt: die Technologie zu einem Maßstab für skalierbare Serienfertigung und Hochleistungsanwendungen zu machen. Doch welche Produkte verfolgt BAC genau? Vor welchen Herausforderungen stehen ihre Kunden und wie kann AM die Antwort darauf liefern? Verpassen Sie nicht die Antworten auf all diese spannenden Fragen in unserem Interview!
3DN: Könnten Sie sich kurz vorstellen und uns erzählen, wie Sie zum 3D-Druck gefunden haben?
Malte Hartmann
Mein Name ist Malte Hartmann und ich bin seit knapp zehn Jahren in der 3D-Druck Branche, speziell im 3D-Keramik-Druck, tätig. Mein Bildungshintergrund liegt in den Bereichen Chemie und Werkstofftechnik. Erste Erfahrungen mit additiver Fertigung (AM) sammelte ich bereits in einer Forschungsgruppe von Prof. Jürgen Stampfl an der Technischen Universität Wien, der später mein Doktorvater wurde. Mit der chemischen und technologischen Optimierung der lithografiebasierten additiven Fertigung für Dentalkeramik befasste ich mich in meiner Dissertation. Nach einer kurzen Postdoc-Zeit an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg habe ich mich bewusst für einen Wechsel in die Industrie entschieden um mein Ziel zu verfolgen, die additive Fertigung mit Keramik in die Großserienproduktion zu bringen.
3DN: Was ist das Ziel von Bosch Advanced Ceramics und welche Position halten Sie in der Firma?
Vielerorts wird der 3D-Druck nur für die Herstellung von Prototypen genutzt, wir haben jedoch die Vision, die additive Fertigung mit Keramik in die Großserienproduktion zu bringen. In diesem Zusammenhang agieren wir als Auftragsfertiger, der sich ausschließlich auf AM konzentriert. Unser Firmensitz liegt im Süden Bayerns in einem Bosch-Werk, das auf eine lange Tradition in der Keramikfertigung mittels Spritzguss zurückblicken kann. Auf diesem fundierten Wissen konnten wir aufbauen, um die additive Fertigung von der Forschung in die industrielle Produktion zu bringen.
Meine Aufgabe dreht sich speziell um die Skalierbarkeit der additiven Fertigung. Jeder, der schon einmal mit dieser Technologie gearbeitet hat, weiß, dass sie nicht einfach „plug and play“ ist. Vor und nach dem Druck selbst sind mehrere Schritte zu beachten, z. B. die Vorbereitung des Druckauftrags, das Entfernen von überschüssigem Material und natürlich die thermische Nachbehandlung. Die Optimierung der Wertschöpfungskette, die Automatisierung des Prozesses und die Suche nach skalierbaren Lösungen sind hierbei einige meiner Hauptaufgaben.
3DN: Welche additiven Fertigungstechnologien und keramischen Materialien nutzen Sie?
Von Anfang an haben wir ausschließlich mit Photopolymerisation Verfahren (VPP) gearbeitet. Wir beobachten den Markt ständig auf der Suche nach neuen Alternativen, aber bis jetzt erfüllt VPP unsere Anforderungen hinsichtlich Oberflächenrauheit, Dichte, Detailauflösung und mechanischer Festigkeit am besten.
Da die historische Keramikproduktion im Bosch-Werk Blaichach auf dichten Oxidkeramiken basierte, konnten wir auf diesem Know-how aufbauen und schnell mehrere Werkstoffe dieser Gruppe etablieren, z. B. Aluminiumoxid, Zirkonoxid, zirkoniumoxidverstärktes Aluminiumoxid (ZTA) und aluminiumoxidverstärktes Zirkonoxid (ATZ). Bei geeigneten Geschäftsmöglichkeiten sind wir offen für eine Erweiterung dieses Portfolios.
3DN: Suchen Kunden hauptsächlich Serienfertigung oder Prototypenentwicklung? Wie entwickelt sich die Nachfrage?
Die Nachfrage nach keramischem AM steigt stetig, angetrieben durch unseren strategischen Fokus auf die Serienfertigung für unsere Kunden. Während jedes Projekt natürlich mit einer Prototyping-Phase beginnt, ist es unser Ziel, diese Prototypen stets in eine qualifizierte Serienfertigung zu überführen – sowohl für kleinere als auch für größere Stückzahlen. Wir haben unseren Fokus bewusst von der Verwendung von AM als internes Prototyping-Tool für den Keramikspritzguss auf die direkte Erfüllung der AM-Serienproduktionsanforderungen unserer Kunden verlagert. Dieser Ansatz nutzt die inhärente Flexibilität von AM als werkzeuglose Produktionsmethode und ermöglicht es uns, die Produktion nahtlos zu skalieren und falls nötig anzupassen, sobald alle Parameter für ein bestimmtes Bauteil festgelegt sind.
3DN: Was sind die größten Herausforderungen, mit denen Ihre Kunden konfrontiert sind?
Die Herausforderungen unserer Kunden sind sehr vielfältig. Die meisten wenden sich jedoch in der Regel mit zwei primären technischen Herausforderungen an uns. Erstens stoßen sie bei ihren Anwendungen auf Einschränkungen hinsichtlich der Materialleistung. Dies äußert sich häufig in einem Bedarf an Eigenschaften wie höherer Temperaturbeständigkeit, verbesserter Verschleißfestigkeit oder überlegener chemischer Inertheit. Zweitens benötigen sie komplexe Geometrien oder integrierte Funktionen, die mit herkömmlichen Fertigungsverfahren einfach nicht realisierbar sind. Dazu können hochkomplexe Innenstrukturen, Leichtbaukonstruktionen oder die Zusammenführung mehrerer Komponenten zu einem einzigen Teil gehören.
3DN: Wie helfen Sie dabei, diese Probleme zu lösen?
Unser Ansatz beginnt mit einer eingehenden technischen Beratung, um die Probleme und Anforderungen des Kunden genau zu verstehen. Je früher wir in den Entwurfs- und Denkprozess einbezogen werden, desto effizienter ist die Zusammenarbeit und desto besser ist das Ergebnis.
Diese Anfangsphase ist entscheidend, da sie es uns ermöglicht, gemeinsam Designs für die additive Fertigung zu verfeinern und sowohl hinsichtlich der Leistung als auch der Herstellbarkeit zu optimieren. Anschließend nutzen wir unsere fortschrittliche VPP-Technologie (Vat Photopolymerization), die sich durch die Herstellung von Teilen mit außergewöhnlicher Detailgenauigkeit, Präzision und Oberflächengüte aus einer Reihe von hochleistungsfähigen Keramikmaterialien auszeichnet.
BAC half einem Kunden dabei, komplexe Baugruppen aus mehreren Komponenten – wie beispielsweise eine elektronische Trägerplatte mit komplizierten Kanälen – durch ein einziges 3D-gedrucktes Keramikteil zu ersetzen, wodurch sowohl eine Leistungssteigerung als auch eine erhebliche Vereinfachung des Designs erzielt wurde
Für Kunden, die mit dem vollen Potenzial der keramischen additiven Fertigung noch nicht vertraut sind, identifizieren und bewerten wir in einem gemeinsamen Prozess mögliche Anwendungen und helfen ihnen dabei oft, völlig neue Wege zu entdecken.
Wir unterstützen sie hinsichtlich der Möglichkeiten der keramischen additiven Fertigung durch gemeinsame Proof-of-Concept-Projekte, in denen wir die Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Technologie aus erster Hand demonstrieren. Wenn sie zudem Bedenken hinsichtlich der anfallenden Kosten haben, empfehlen wir ihnen, die Gesamtbetriebskosten (TCO) zu berücksichtigen. Auch wenn die Anschaffungskosten für die Teile zunächst höher erscheinen mögen, führen die langfristigen Vorteile – wie längere Lebensdauer, geringeres Gewicht oder vereinfachte Montage – oft zu erheblichen Gesamteinsparungen und einer überlegenen Leistung, die herkömmliche Teile einfach nicht bieten können. Unser Ziel ist es, eine umfassende Lösung anzubieten, die nicht nur ihre unmittelbaren technischen Anforderungen erfüllt, sondern auch einen nachhaltigen, wertorientierten Weg in die Zukunft aufzeigt.
3DN: Können Sie uns einen anspruchsvollen Anwendungsfall nennen, bei dem die additive Fertigung mit Keramik eine innovative Lösung ermöglicht hat?
Die Textilindustrie verwendet traditionell viele Teile aus der technischen Keramik. Ein Anwendungsfall, der das transformative Potenzial der keramischen additiven Fertigung besonders gut zeigt, ist die Herstellung von Präzisionskeramiknadeln für die moderne Textilherstellung.
Die Herausforderung bestand darin, hochverschleißfeste, präzise und geometrisch komplexe Komponenten für Tailored Fiber Placement (TFP)-Prozesse zu entwickeln, bei denen abrasive Fasern wie Glas oder Kohlenstoff präzise verarbeitet werden müssen. Mit herkömmlichen Fertigungsmethoden gestaltet es sich schwierig, die erforderliche Maßgenauigkeit, Oberflächenqualität und Materialeigenschaften gleichzeitig zu erreichen – insbesondere bei hohen Stückzahlen.
Unsere Lösung nutzte keramischen AM, um komplexe Keramiknadeln aus Aluminiumoxid (99,8 % Reinheit) herzustellen. Einer der bedeutendsten Durchbrüche hierbei ist die Möglichkeit, diese komplizierten Teile effizient in Serie herzustellen. Eine einzige Bauplattform ermöglicht die gleichzeitige Fertigung von 444 identischen, komplexen Nadeln. Jede Nadel ist etwa 22,3 mm lang, hat ein präzises Öhr, das sich von 1 mm auf 1,5 mm erweitert, und erfordert eine Toleranz von ±0,025 mm.
Die Verwendung von Aluminiumoxid bot entscheidende materielle Vorteile. Ihre außergewöhnlich hohe Verschleißfestigkeit sorgt für eine deutlich längere Standzeit bei der Verarbeitung abrasiver Fasern und reduziert Ausfallzeiten und Wartungsaufwand. Darüber hinaus trägt die geringe Dichte von Keramik zu einem geringeren Gewicht der Komponenten bei, was schnellere und dynamischere Bewegungen innerhalb der Textilmaschinen ermöglicht, ohne die Stabilität zu beeinträchtigen. In Verbindung mit ihrer hohen Steifigkeit verhindern Keramiknadeln eine Durchbiegung während des Betriebs und gewährleisten eine beispiellose Präzision bei der Faserplatzierung.
Dieses Beispiel verdeutlicht nicht nur unsere Kompetenz in der Serienfertigung hochkomplexer Keramikkomponenten, sondern auch, wie Keramik-AM kritische Leistungsengpässe in anspruchsvollen industriellen Anwendungen direkt angeht.
3DN: Welche Branchen profitieren Ihrer Erfahrung nach am meisten von der keramischen additiven Fertigung? Welche Anwendungen und Materialien stechen besonders hervor?
Während meiner Zeit bei Bosch Advanced Ceramics habe ich Hunderte von Fachgesprächen mit Kunden aus verschiedenen Branchen geführt. Aus meiner Sicht kann jede Branche, die technische Keramik benötigt, potenziell von der keramischen additiven Fertigung profitieren. Dafür gibt es mehrere Gründe: Der additive Fertigungsprozess ermöglicht komplexe Designs wie kein anderes Produktionsverfahren und erhöht somit die Effizienz eines bestimmten Produkts. Im Hinblick auf Baugruppen kann der additive Fertigungsprozess Bauteile herstellen, die traditionell einzeln produziert werden mussten. Dies reduziert die Montagekosten. Insbesondere Branchen mit einem Produktportfolio, das sich durch „hohe Vielfalt und geringe Streuung” auszeichnet, wie beispielsweise der medizinische Sektor, können stark davon profitieren, da beim additiven Fertigungsprozess keine Werkzeugkosten anfallen.
Zu den Schlüsselindustrien, die am meisten von der keramischen additiven Fertigung profitieren werden, gehören Halbleiter, medizinische Geräte, Luft- und Raumfahrt, chemische Verarbeitung, erneuerbare Energien und leistungsstarke Industriemaschinen. Im Bereich der Halbleiter ermöglicht die keramische additive Fertigung die Herstellung von Komponenten mit hoher Reinheit, chemischer Beständigkeit und elektrischem Widerstand, beispielsweise für Wafer-Chucks, Gasduschköpfe oder komplexe Fluidverteiler.
Im Bereich der medizinischen Geräte unterstützt AM die Herstellung biokompatibler, sterilisierbarer und ergonomisch optimierter Teile. Keramischer AM eignet sich auch hervorragend für die Herstellung miniaturisierter Teile für Diagnosegeräte oder Spezialwerkzeuge.
In der Luft- und Raumfahrt kommen leichte, hitzebeständige Komponenten zum Einsatz, während Branchen wie die chemische Verarbeitung und die Energiewirtschaft AM für korrosions- und verschleißfeste Teile in extremen Umgebungen nutzen. Und schließlich erhalten Industrieanlagen und Messtechnik Zugang zu maßgeschneiderten, hochpräzisen und langlebigen Komponenten.
In all diesen Bereichen liegen die Hauptvorteile der keramischen additiven Fertigung in einer größeren Designfreiheit, einer verbesserten Leistung unter anspruchsvollen Bedingungen und einer höheren Kosteneffizienz durch Teilekonsolidierung und längere Lebensdauer.
3DN: Wie sehen Sie die Zukunft der additiven Fertigung mit Keramik?
Viele Experten glauben, dass AM seine Nische unter den etablierten Produktionstechnologien finden wird, aber wir glauben, dass die inhärente Verbindung von AM zu einem digitalen Workflow und der Bedarf der Branche an schnelleren Entwicklungszyklen zu einer weitaus bedeutenderen Position von AM führen werden. Die Kombination von herausragenden Materialeigenschaften mit unübertroffener Designfreiheit und digitaler Agilität macht den 3D-Druck zu einer Grundlagentechnologie für zukünftige Hochleistungsanwendungen, und wir freuen uns darauf, diese Möglichkeiten zu erkunden.
3DN: Möchten Sie unseren Lesern noch ein paar letzte Worte mitteilen?
Ich freue mich für alle, die ihre Begeisterung für diese spannende Technologie und den damit verbundenen Möglichkeiten teilen. Die Maker-Szene hat aufgrund ihrer enormen Kreativität schon immer einen starken Einfluss auf die Entwicklung der AM-Technologie gehabt. Vielen Dank für Ihr Engagement und Ihr Interesse. Um mehr über BAC zu erfahren, klicken Sie HIER.
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*Bildverweise: Bosch Advanced Ceramics