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Urban Reef über den Einsatz von 3D-Druck für grünere Städte

Am 24. Januar 2024 von Jana S. veröffentlicht
Urban reef

Die additive Fertigung steht in vielen Bereichen im Mittelpunkt des Interesses, da sie nicht nur das Potenzial für die Digitalisierung der Fertigung, sondern auch für eine nachhaltigere Produktion birgt. So gibt es derzeit eine Reihe von Projekten, bei denen natürliche Materialien für den 3D-Druck verwendet werden, darunter Ton, Erde, Lebensmittelabfälle, Kaffee und viele mehr! Die additive Fertigung ermöglicht die Umwandlung dieser Materialien, indem sie recycelt oder aus der Natur entnommen werden, und ermöglicht viele bisher unvorstellbare Anwendungen. Das zeigt auch das niederländische Startup Urban Reef, das Spitzentechnologien, 3D-Druck und natürliche Materialien kombiniert hat, um grünere, integrativere und einladendere Städte zu entwerfen und zu gestalten. Sie haben Strukturen entwickelt, die sie Reefs nennen und von denen sie hoffen, dass sie dazu beitragen werden, die Städte von morgen zu revolutionieren und damit eine praktikable Lösung für die Herausforderungen des Klimawandels und der Umweltverschmutzung zu bieten. Um mehr zu erfahren, haben wir einen der Mitbegründer, Max Latour, interviewt.

3DN: Können Sie sich selbst und Ihren Bezug zum 3D-Druck vorstellen?

Pierre Oskam (links) und Max Latour (rechts)

Ich bin Max Latour, einer der Gründer von Urban Reef und ein Computerdesigner mit Vorwissen im Bereich Architektur. Ich habe mein Studium an der Architekturfakultät der TU Eindhoven begonnen, wo ich meine ersten kurzen Begegnungen mit dem 3D-Druck hatte. Nach meinem Bachelor-Abschluss bin ich für mein Master-Studium an die TU Delft gewechselt, wo der Schwerpunkt auf architektonischem Design lag. Hier habe ich begonnen, mein Interesse an computergestütztem Design zu entwickeln.

Anfangs war ich besessen davon, organische Formen zu entwerfen, aber dies entwickelte sich schnell zu einem Interesse an natürlichen morphogenetischen Prozessen und dem Potential, diese in Designwerkzeuge zu übersetzen. Schließlich habe ich mein Masterstudium am Robotic Building Lab abgeschlossen, einem Studio innerhalb der Fakultät für Architektur, das computergestützte Designwerkzeuge und 1:1-Prototyping mit Hilfe von Roboterfertigungsverfahren einsetzt.

Nach meinem Abschluss habe ich begonnen am Robotic Building Lab als Forscher zu arbeiten. Gleichzeitig habe ich damit angefangen, umfassendere Anwendungen von computergestützten Designwerkzeugen und natürlichen morphogenetischen Prozessen zu erforschen, oft in Verbindung mit 3D-Druck. Es ist die Verbindung und elegante Synergie dieser Erkundungen mit Pierres (Oskam – Mitbegründer) aufschlussreicher Arbeit zur Wiederbelebung städtischer Räume und seinen philosophischen Perspektiven zu diesem Thema, die schließlich zu dem führten, was Urban Reef heute ist.

3DN: Wie kam es zur Gründung von Urban Reef? Was ist sein Auftrag?

Urban Reef hat als kleines Experiment begonnen, das von Pierre Oskam und mir initiiert wurde. Wir haben uns während eines Projekts an der TU Delft kennengelernt. Pierre, ein Absolvent der Fakultät für Architektur an der TU Delft, hat an der Universität Aveiro und der Universität Porto, Portugal, im Bereich Strategisches Design promoviert. In seiner Doktorarbeit hat er sich mit der Wiederbelebung verlassener städtischer Räume beschäftigt und die sich verändernde Stellung des Menschen in der Natur sowie den philosophischen Hintergrund dieser Entwicklung untersucht. Am Ende seiner Doktorarbeit wollte er eine seiner Ideen verwirklichen und hat sich zu der Zeit an das Robotic Building Lab der TU Delft gewandt, als ich dort arbeitete.

Das Projekt an der TU Delft löste eine Diskussion über das Potential der Überschneidung unserer Interessen aus, nämlich die Wiederbelebung der städtischen Umwelt durch Design unter Verwendung von Abstraktionen natürlicher Prozesse. Wir beschlossen, eigenständig ein kleines Experiment zu starten, bei dem wir eine Reihe von Prototypen nach diesen Gestaltungsprinzipien 3D-gedruckt und mit dem 3D-Druck von Kaffee, Myzel und Samen experimentiert haben. Diese Experimente waren erfolgreich und haben das Potential der Ansätze bestätigt. Dies hat es uns ermöglicht, uns voll und ganz darauf zu konzentrieren und in die nächste Phase der Entwicklung einzutreten.

Ein Beispiel für organische Strukturen aus dem 3D-Drucker

3DN: Können Sie uns mehr über das Konzept der „Riffe“ erzählen? Wie werden sie geschaffen und was ist ihr Zweck?

Riffe sind Strukturen, die das ökologische Potential durch die Vielfalt der Bedingungen verbessern. Aus der geometrischen Komplexität ergeben sich verschiedene miteinander verbundene Räume, die aufgrund der unterschiedlichen Größe, Form und Ausrichtung auf Sonne, Wind, Regen usw. verschiedene Mikroklimata begünstigen. Daraus ergeben sich schließlich potentielle Lebensräume für eine Vielzahl von Organismen. Ziel ist es, Bedingungen zu schaffen, unter denen Ökosysteme in der städtischen Umwelt autonom gedeihen können, ohne dass der Mensch eingreift, oder dass aktive Systeme benötigt werden.

Eine spezielle Anwendung dieses Konzepts ist unser Rain Reef. Diese sind speziell für den Anschluss an ein Abflussrohr konzipiert und sammeln und speichern Regenwasser. Durch die Porosität des Materials wird das Regenwasser passiv an der Oberfläche des Riffs verteilt, so dass Algen und Moose direkt darauf wachsen können. Dieser Prozess bietet nicht nur Lebensraum und puffert Regenwasser, sondern trägt auch zur Befeuchtung und Kühlung der Luft durch Verdunstung und Transpiration bei und wirkt so dem urbanen Wärmeinseleffekt entgegen.

Urban reef

Riffe sind in der Lage, „zum Leben zu erwachen“. In diesem Fall absorbiert das Rain Reef Feuchtigkeit und bildet die ideale Umgebung für das Wachstum von Pilzen, die die Struktur zum Leben erwecken.

3DN: Welche natürlichen Materialien entwickelt Urban Reef für den 3D-Druck?

In unserem Bestreben, nachhaltige Praktiken in die urbane Architektur zu integrieren, hat Urban Reef einen zweigeteilten Ansatz für die Materialforschung und Anwendungsentwicklung gewählt. Diese Trennung ermöglicht es uns, kurzfristig praktikable Lösungen zu entwickeln, während wir gleichzeitig biobasierte Materialien für die künftige Umsetzung erforschen und weiterentwickeln.

Für unsere aktuellen Strukturen haben wir Keramik als primäres Material ausgewählt, weil es relativ nachhaltig und mit der erbauten Umwelt kompatibel ist. Keramik ist nicht nur im Bauwesen weit verbreitet, sondern verfügt auch über wesentliche Eigenschaften für unsere Anwendungen – wie Verarbeitbarkeit, Bedruckbarkeit, strukturelle Kapazität und Porosität. Eine letzte Schwelle, die es noch zu überwinden gilt, ist die Notwendigkeit des Brennvorgangs, der immer noch recht energieaufwendig ist. Hier kommt unserer Materialforschung eine zentrale Bedeutung zu.

Kurzfristig konzentrieren wir uns darauf, das Beste aus den lokalen Ressourcen zu machen, um den CO2-Fußabdruck zu verringern. Ein gutes Beispiel dafür ist unsere Zusammenarbeit mit Blauwe Bagger, wo wir die Verwendung von lokalem Baggergut erforschen. Blauwe Bagger kann den Ton aus dem Baggergut (z.B. einem Fluss- oder Seebett) entnehmen und diese reichlich vorhandene Ressource in ein wertvolles Baumaterial umwandeln. Auf diese Weise wollen wir die mit der Materialbeschaffung und dem Transport verbundenen Umweltauswirkungen verringern und den Kreislaufgedanken in unserem Produktionsprozess fördern.

Langfristig wollen wir den Ton durch ein biobasiertes Material ersetzen, vorzugsweise mit einem organischen Härtungsprozess. Für die Experimente mit diesen Materialien arbeiten wir in der Regel mit spezialisierten Partnern zusammen, die über besondere Kenntnisse dieser Materialien verfügen. So arbeiten wir zum Beispiel mit Junai.earth zusammen, um mit Olivenkernen, Austernschalen und Alginat zu drucken. Mit Lindey Cafsia haben wir auch mit Kuhfladen gedruckt. Unser Ziel ist es, Keramik durch diese biobasierten Materialien zu ersetzen, sobald sie einsatzbereit sind.

Riffe fügen sich nahtlos in die Umwelt ein

3DN: Wie sieht Urban Reef die Zukunft der städtischen Architektur? Welche Rolle wird die additive Fertigung spielen?

Aus der Perspektive von Urban Reef stellen wir uns eine Zukunft vor, in der die Architektur ihre traditionellen Grenzen überschreitet und zu einem dynamischen, lebendigen Bestandteil der Ökosysteme wird, die sie bewohnt. Bei unserer Vision geht es nicht nur um die Integration von Grünflächen in städtische Umgebungen, sondern um die Neudefinition dessen, was die urbane Umwelt sein kann. Wir sehen eine Zukunft, in der Gebäude und urbane Strukturen mit der Natur harmonieren und einen aktiven Beitrag zu Biodiversität, Nachhaltigkeit und ökologischer Widerstandsfähigkeit leisten.

In dieser Zukunft könnte der 3D-Druck eine zentrale Rolle spielen und als Katalysator für diese transformative Vision dienen. Das Potential des 3D-Drucks in der Architektur liegt in seiner Fähigkeit, komplexe Geometrien und komplizierte Entwürfe zu verwirklichen, die mit traditionellen Konstruktionsmethoden bisher nicht möglich oder wirtschaftlich nicht vertretbar waren. Diese Fähigkeit eröffnet neue Wege für architektonische Innovationen, vor allem, wenn sie durch computergestützte Designstrategien genutzt wird.

Diese Strategien haben das Potential, architektonisches Design mehr aus Bottom-up-Prozessen hervorgehen zu lassen. Dies kann zu Designs führen, die stärker auf physikalische oder Umweltbedingungen wie Sonneneinstrahlung, Kraftfluss, Regenwasserverteilung oder ökologisches Potenzial durch mikroklimatische Vielfalt ausgerichtet sind.

Diese Architektur wäre schon an sich natürlich, aus materieller, morphogenetischer und ökologischer Sicht und folglich auch aus ästhetischer Sicht. Sie würde auch zur Redundanz aktiver Systeme führen, die derzeit für die Aufrechterhaltung des gewünschten Komforts unerlässlich sind, eine Notwendigkeit, die sich aus dem derzeitigen Mangel an ökologischer Einbettung im architektonischen Design ergibt.

Beispiel für eine mögliche Anwendung von Reefs in einer städtischen Umgebung

3DN: Was sind die zukünftigen Projekte von Urban Reef?

Derzeit sind wir in der Lage, eigenständige skulpturale Strukturen herzustellen. Dieser Schwerpunkt hat uns die Freiheit gegeben, iterativ mit verschiedenen Designstrategien zu experimentieren und ihre Auswirkungen zu bewerten.

Zurzeit führen wir in Zusammenarbeit mit Marktpartnern wie Bauunternehmen, Architekten und Kommunen Pilotprojekte durch. Bei diesen Pilotprojekten geht es um die Entwicklung verschiedener Anwendungen von Riffs. Jedes Projekt wird unter ökologischen und funktionalen Gesichtspunkten sowie unter Berücksichtigung der Marktnachfrage bewertet. Die aus diesen Bewertungen gewonnenen Erkenntnisse leiten unsere künftige Entwicklung hin zu Städten, die spontane Ökologien stimulieren.

3DN: Haben Sie ein paar letzte Worte für unsere Leser?

Wir freuen uns über Ihr Interesse daran, wofür Urban Reef steht. Wir stehen am Anfang einer Revolution im Architekturdesign. Es ist wichtig zu erkennen, dass der 3D-Druck nicht nur ein Werkzeug ist, um konventionelle Entwürfe mit neuen Techniken zu produzieren; er ist ein Katalysator für noch nie dagewesene Möglichkeiten in Design und Fertigung.

Wir laden alle ein, gemeinsam mit uns diese Möglichkeiten zu erkunden, um unsere städtische Umwelt nicht nur neu zu gestalten, sondern sie als natürliche Landschaften neu zu erfinden. Mehr über Urban Reef können Sie HIER erfahren.

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*Bildnachweise: Urban Reef

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