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Myzel als Material für den 3D-Druck

Am 22. April 2024 von Astrid Z. veröffentlicht

Plastic Planet ist ein Film, der nach seinem Erscheinen 2008 für Furore gesorgt hat und bei jedem Anschauen erneut schockiert, da er uns vor Augen führt, in welchem Ausmaß Plastik in unserem Leben vorhanden ist. Obwohl es mittlerweile Bestreben gibt, den Einsatz von Kunststoffen in den unterschiedlichsten Anwendungen zu reduzieren, bleibt Plastik eines der am meisten verbreiteten Materialien auf der Erde. Wer glaubt, Plastik sei der einzige Übeltäter unter den umweltschädlichen Stoffen, der irrt. Die Zementindustrie landet in Bezug auf ihren CO2-Ausstoß auf dem dritten Platz (lt. UN Environment Program 2020 ) und man braucht sich nur umzusehen, um festzustellen, wie allgegenwärtig auch Zement und Beton in unserem Leben sind. Die Ansätze, Plastik und Zement „grüner“ zu machen sind vielfältig. Gleichzeitig wird intensiv an neuen Materialien geforscht, die als Alternativen eingesetzt werden können. Eines dieser Materialien ist Myzel oder Mycelium/Myzelium, welches auf Pilzen basiert. In Verbindung mit dem 3D-Druck hält dieses biobasierte Material ein großes Potential für eine umweltfreundliche Bauwirtschaft und zahlreiche Anwendungen bereit. Werfen wir also einen näheren Blick auf diesen Öko-Baustoff und darauf, wie er im 3D-Druck verarbeitet werden kann.

Pilzmyzel wird tatsächlich seit vielen Jahren als Baustoff erforscht. Genau gesagt, wird nicht der Pilz selbst als Baustoff verwendet, sondern sein Wurzelsystem. Dort befinden sich seine Hyphen, die Pilzfäden, die miteinander verschmelzen und ein Netzwerk, nämlich das Myzelium bilden. Dieses kann sich auf anderen Stoffen ausbreiten und zum Beispiel Holz oder Stroh durchdringen, um deren Nährstoffe zu nutzen. Bekommt der Pilz zusätzlich Wasser, wächst er. Dieses Parasiten-Dasein wird aktiv genutzt, um das Myzel mit Nährstoffen von anderen Stoffen anzureichern. Das Myzel fungiert dann als Klebstoff, sodass das Stoffgemisch fest wird und geformt werden kann – oder gedruckt.

Schema des Wurzelwerks. (Bild: Biomimicry)

Pilze sind außerdem für ihre kohlenstoffabsorbierenden Fähigkeiten bekannt. Dadurch können sie dazu beitragen, den Klimawandel zu verlangsamen. Außerdem sind viele Pilze in Bezug auf ihre „Fütterung“ nicht besonders wählerisch, so ziehen sie auch Nährstoffe zum Wachsen aus Abfall- oder Restoffen, was die Kreislaufwirtschaft zusätzlich begünstigt. In diesem Sinne können Myzel-basierte Werkstoffe aktiv gezüchtet werden.

Eigenschaften von Myzel

Pilze sind in der Natur reichlich vorhanden und Myzel ist so ein nachwachsender Rohstoff. Die Verarbeitung zu Werkstoffen auf Myzel-Basis ist kostengünstig und erfordert nur wenig Energieaufwand. Auch nach der Lebensdauer sind die Werkstoffe einfach zu entsorgen und natürlich recycelbar. Das macht Myzel zu einem attraktiven, nachhaltigen Baustoff. Durch seine organische Herkunft passt es sich einfach an die Umwelt an und ähnelt anderen biologischen Materialien, wie etwa Tierknochen oder Pflanzen. Daher ist Myzel in der Lage zu regenerieren und zu heilen. Für uns Menschen sind Myzel-basierte Stoffe gesundheitlich unbedenklich und nicht allergen oder giftig. Handelt es sich um einen per se essbaren Pilz, kann Myzel sogar als Lebensmittel verwendet werden.

Myzel 3D-Druck Struktur

Myzel gilt als nachhaltiger  Werkstoff für diverse Anwendungen (Bild: Shape Lab – Institute of Architecture and Media, TU Graz)

Myzel bringt darüber hinaus eine Vielzahl an physikalischen Eigenschaften mit. Es ist wärmedämmend, flammfest und hydrophob, gleichzeitig aber auch sehr fest und stabil. Aus diesem Grund wird es für Dämmungen oder auch für Möbel eingesetzt. Tatsächlich kann Pilzmyzel eine große Anzahl an Materialien ersetzten, zum Beispiel Leder, Holz, Pappe, Styropor oder Dämmwolle und erschließt sich so den Einsatz in den unterschiedlichsten Feldern.  Wir finden Myzel als Werkstoff bereits als Baustoff in der Architektur und für den Lärmschutz, wo seine Eigenschaft, selbst zu wachsen, seine Flammfestigkeit und Isolierung sehr geschätzt werden. Da es großen Belastungen standhält, wird es auch in der Innenarchitektur oder für Möbel eingesetzt. Immer häufiger wird es auch als alternativer, nachhaltiger Werkstoff im Design, der Mode, Kunst und für Konsumgüter genutzt. Seine regenerierenden Eigenschaften ermöglichen sogar den Einsatz in der Medizin! All diese Einsatzgebiete erschließen sich durch die gezielte Kultivierung des Pilzmyzels und das Verfahren, durch das es verarbeitet wird.

3D-Druck mit Myzel

Der 3D-Druck ist eine Technologie, die es ermöglicht, diverse Formen zu drucken. Der 3D-Druck zeichnet sich also durch seine Designfreiheit aus und durch das Umsetzen von geometrisch komplexen Strukturen. Da es sich um ein additives Verfahren handelt, fallen (je nach Verfahren) kaum Abfallstoffe an, was den 3D-Druck in dieser Hinsicht zu einer nachhaltigen Produktionsweise macht. In Verbindung mit biologischen Materialien – wie Myzel – bietet die additive Fertigung eine Chance, ökologisch zu produzieren.

Im Zusammenhang mit Myzel kommen am häufigsten Extrusions-basierte Verfahren zum Einsatz, bei denen ein Myzel-Komposit als Paste in Form gedruckt wird. Je nach Zusammensetzung des Verbundwerkstoffes lassen sich verschiedene Eigenschaften des Baustoffs erzielen, die sich nach den jeweiligen Anwendungen richten. Das Pilz-Material erlaubt eine große kreative Freiheit, es kann verschiedene Farben, Texturen und Muster haben. Damit der Druck gelingt, gilt es allerdings, einige Schritte zu berücksichtigen.

3D-Druck des Myzel-Materials (Bild: Shape Lab – Institute of Architecture and Media, TU Graz)

Insgesamt ist der Druckprozess sehr aufwendig, da viele Parameter eingehalten werden müssen. Zunächst wird das Myzel mit weiteren Rohstoffen „gefüttert“, wodurch es gedeiht. Infrage kommen diverse Materialien wie Holz, Sägespäne, Papier, Pappe oder auch Stoffe, die als nicht recycelbar und nicht mehr verwendbar gelten. Durch diese Vermengung entsteht ein neues Substrat, welches als Mycocomposite, Myco-Material, Pilz-basiertes Material o. ä. bezeichnet wird. In weiterer Folge muss das Wachstum des Pilzes gesteuert werden und das Material so kultiviert werden, dass es die für den Druck erforderlichen Eigenschaften aufweist. Das heißt, es muss fließfähig, elastisch und verformbar sein. Erst dann kann der 3D-Druck erfolgen.

In dieser Prozess-Etappe ist es unerlässlich, dass eine sterile Umgebung garantiert ist. Das Pilzmaterial ist sehr anfällig für Bakterienbefall und Kontaminationen. Da es im 3D-Drucker mit vielen Bauteilen in Berührung kommt, steigt die Gefahr der Verunreinigung. Nach dem Druck erfolgt die zweite Kolonisierung, in der das in Form gedruckte, lebende Myzel sein Wachstum ausweitet und den Verbundstoff verfestigt. Sobald die gewünschte Größe und Form erreicht ist, setzt die Trocknung ein. Durch Erhitzen wird der Wachstumsprozess des lebenden Myzels im pilzbasierten Kompositwerkstoff gestoppt. Dies ist unbedingt notwendig, sodass der Pilz in seiner späteren Anwendung die Materialeigenschaften des Komposits nicht verändert und auch nicht auf andere Materialien übergreift.

Vorbereitung des Myzel-Substrats (Bild: Stavebni sporitelna Ceske sporitelny)

Anwendungen

Um das volle Potential von Myzel als umweltfreundlichen Werkstoff der Zukunft zu begreifen, lohnt es sich, einen näheren Blick auf einige konkrete Projekte in den verschiedenen Anwendungsfeldern zu werfen.

Architektur

Das Shape Lab des Instituts für Architektur und Medien der TU Graz hat in einem Forschungsprojekt von 2020 bis 2024 durch die Kombination von Lehm, Sägespäne und Mycelium ein neues Material entwickelt, MyCera. „Das übergeordnete Forschungsziel besteht darin, eine praktikable, langfristige Lösung für das globale Problem der Abfallwirtschaft und der CO²-Emissionen zu finden, das auch die Bauwirtschaft und die Entsorgung von Bauabfällen betrifft,“ heißt es im Forschungs-Paper. Wird Myzel intelligent ausgerichtet, könne es als Faserverstärkung für 3D-gedruckte Tonstrukturen fungieren, so der Ansatz der Wissenschaftler. Sie setzten auf die Eigenschaften von Myzel, als biologisches Bindemittel eingesetzt werden zu können, und verarbeiteten das Material mit dem Delta WASP 40100 Clay. Dieser Drucker wird häufig für die Verarbeitung von Myzel eingesetzt, da er über ein offenes Materialsystem verfügt und verschieden zusammengesetzte Materialpasten verarbeiten kann. Das Forschungsprojekt zu MyCera verlief äußerst erfolgreich. Obwohl noch Tests in Bezug auf die Haltbarkeit des Materials notwendig sind, konnte bereits gezeigt werden, dass MyCera ein vielversprechendes Verbundmaterial ist, das in Zukunft für den nachhaltigen Bau von Gebäuden eingesetzt werden könnte. „Nach der Durchführung suffizienter Forschung [können wir bestätigen, dass] die vorgeschlagene Materialzusammensetzung zementbasierte Bindemittel ersetzen könnte,“ heißt es im Paper.

Ein weiteres Beispiel für den Einsatz von Myzel in der Architektur ist The Tree Column des Londoner Blast Studio. Diese Säulenstruktur basiert auf einem Materialgemisch aus Myzel und Müll. Tatsächlich besteht es aus gebrauchter Pappe, nämlich Kaffeebechern und Pizzakartons aus den Straßen Londons, die geschreddert und mit Wasser vermengt wurden, bevor sie mit Pilzmyzel gemischt wurden. Ein Roboterarm druckte die Paste Schicht für Schicht, sodass zehn Module entstanden, die zusammengesetzt eine zwei Meter hohe Säule bilden. Nach dem Druck wuchs die Säule noch weiter, wurde von essbaren Pilzen überwuchert und erst anschließend getrocknet, um ein tragendes architektonisches Element zu bilden.

Auch die ETH Zürich griff die Biomimetik von Myzel in einem ähnlichen Baum-Projekt auf. Zusammen mit dem KIT in Karlsruhe und dem ETH-Zentrum in Singapur arbeiteten die Institute an MycoTree, einer verzweigten Struktur aus Myzel und Bambus, die in 3D gedruckt wurde. Ziel war es, das Potential neuer organischer Ressourcen für das Bauwesen aufzuzeigen, die mithilfe des 3D-Drucks und der errechneten Geometrie so gefertigt wurden, dass sie maximale Stabilität erreichten.

Die Projekte, in denen Myzel im Bereich des Bauwesens eingesetzt wird, sind zahlreich. Dabei handelt es sich nicht nur um Gebäude und Mauern, sondern auch um Strukturen für den Einsatz unter Wasser. Urban Reef ist ein Unternehmen, das Riffe in 3D druckt und dabei einerseits auf Keramik, andererseits auf Materialien wie Kaffeesatz und Myzel setzt.

The Tree Column (Bild: Blast Studio)

Innenarchitektur und Design

Die vorangegangenen Beispiele aus der Architektur unterstreichen, dass in dieser Vertikale auf vielfältige Weise mit Myzel-basierten Baustoffen experimentiert wird. Dies gilt auch für die Innenarchitektur und den Design-Sektor. Im Bereich der Möbel gibt es bereits zahlreiche Projekte, bei denen Myzel zum Einsatz kommt. Das tschechische Unternehmen Buřinka führt unter  SAMOROST eine Kollektion an nachhaltigen Designer-Möbeln aus Holz und Myzel, die in ihrem Design an die natürliche Herkunft der Werkstoffe erinnern. Der Myco Chair des niederländischen Künstlers Eric Klarenbeek besteht nicht aus Holz, aber aus Myzel und Stroh, wodurch besonders leichte Möbelstücke hergestellt werden können. Auch zahlreiche weitere Künstler und Designer spielen mit Myzel und natürlichen Formen. Die deutsch-iranische Architektin Yasmine Mahmoudieh stellte so im Rahmen der Architektur Biennale 2023 in Venedig eine Kollektion an Myzel-Möbeln vor.

Doch nicht nur Möbel werden im Bereich der Innenausstattung auf Pilz-Basis gefertigt. Bei MYCO ALGA handelt es sich um Fliesen für Innenräume, die gleich zwei biologische Werkstoffe auf experimentelle Weise vereinen. Das Designstudio bioMATTERS verarbeitete Algen und Pilzmyzel, um diese nachhaltigen Kacheln zu fertigen.

Designer-Möbel auf Myzel-Basis von SAMOROST. (Bild: Stavebni sporitelna Ceske sporitelny)

Konsumgüter und Medizin

Ästhetik und Design stehen allerdings nicht bei allen Projekten im Vordergrund. Die Fraunhofer-Institute UMSICHT und IBP beschäftigten sich im Rahmen des Projekts FungiFacturing mit den dämmenden Eigenschaften von Myzel und setzte sich zum Ziel, diesen Stoff für Schallabsorber zu verwenden. In einer ähnlichen Forschungsarbeit des Fraunhofer IWU konnte dieser Ansatz fortgesetzt werden. Die Forscher konnten Myzel gezielt kultivieren, dieses erfolgreich im 3D-Druck verarbeiten und so leistungsfähige akustische Lautsprecher herstellen.

Wenngleich die Projekte in Design, Architektur und Konsumgütern vielfältig sind, hat sich der Einsatz von Myzel darin bereits bewährt. Erstaunlicher ist hingegen, dass Myzel-basierte Werkstoffe auch in der Medizin Anwendung finden. Dies rührt vor allem daher, dass Pilzmyzel regenerative Eigenschaften besitzt. Die ETH Zürich und die TU Delft haben sich dies zu Nutze gemacht und ein Hydrogel entwickelt, das zum Teil auf dem Glänzenden Lackporling, einem lokalen Baumpilz, basierte. Dieses Gel wurde in 3D zu einem Gitter gedruckt und bildete nach rund 20 Tagen eine robuste, selbstheilende Haut. Das Forschungsprojekt lieferte interessante Erkenntnisse für die Medizintechnik. Damit die Regenerationsfähigkeiten der Roboterhaut allerdings aufrecht blieben, mussten Wege zur Fütterung der Pilz-Haut gefunden werden.

All diese Projekte tragen dazu bei, dass Pilzmyzel in seiner Anwendung weiter erforscht wird und liefern Ergebnisse, wie Myzel im 3D-Druck so verarbeitet werden kann, dass es eine nachhaltige Alternative für bewährte Werkstoffe und konventionellen Verfahren darstellt.

Bausteine aus Myzel

Erneuerbare, biologisch abbaubare Bausteine aus Pilzmyzel (Bild: PLP Labs)

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*Titelbildnachweis: Shape Lab – Institute of Architecture and Media, TU Graz

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