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Joseph DeSimone über PinPrint, Carbon und die Zukunft von AM Innovatoren

Am 23. Juli 2025 von Nele, H. veröffentlicht

Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt stellte der renommierte Chemiker Dr. Joseph DeSimone eine bahnbrechende Technologie vor – Continuous Liquid Interface Production (CLIP). Die Technologie bildete die Grundlage für das Unternehmen Carbon, in dem er als Mitbegründer und CEO tätig war. Continuous Liquid Interface Production (CLIP) veränderte den 3D-Druck von Kunstharz, indem sie sowohl die Geschwindigkeit als auch die Effizienz des Verfahrens drastisch erhöhte. Jetzt haben DeSimone und sein Forscherteam an der Stanford University CLIP mit der Entwicklung von Injection CLIP (iCLIP) noch weiter vorangetrieben. All dies führte zur Gründung von PinPrint, DeSimone’s nächstem Business Projekt, welches Patientenerfahrungen im Impfbereich und medikamentöse Behandlungen von Grund auf neu zu gestalten versucht. Erfahren Sie mehr über die Technologie und Vision hinter PinPrint, über die Gründe für den Erfolg von Carbon und über die Ratschläge, die DeSimone aufstrebenden Führungskräften in der Wissenschaft und der additiven Fertigung gibt.

Das erste Ziel von PinPrint sind Mikronadelpflaster, die eine schmerzfreie Alternative zu herkömmlichen Nadeln darstellen. Sie können für die Verabreichung von Impfstoffen und Medikamenten sowohl für therapeutische als auch für kosmetische Zwecke, sowie für die Entnahme von Zwischenzellflüssigkeitsproben, verwendet werden. Im Vergleich zu Nadeln sind Mikronadelpflaster einfach aufzutragen, weniger gefährlich und minimalinvasiv. Das bedeutet, dass sie nicht nur im klinischen Bereich, sondern auch zu Hause oder in nicht-klinischen Umgebungen problemlos angewendet werden können. Außerdem bergen diese Pflaster ein geringeres Potenzial für mikrobielle Infektionen und sind leichter zu entsorgen als herkömmliche Nadeln. Die Idee gibt es schon seit Jahrzehnten und erste Designs wurden bereits mittels konventioneller Fertigungsmethoden produziert. PinPrint macht sich jedoch die additive Fertigung zunutze, um hochkomplexe Geometrien zu erreichen, die die Herstellung von Mikronadeln mit mikrofluidischen Kanälen und Negativräumen ermöglichen, die mit konventionellen Fertigungsverfahren nicht realisierbar wären.

Ein herkömmliches Mikronadelpflaster ohne mikrofluide Kanäle (Bild: MyLife Technologies)

Überhärtung bewältigen: CLIP vs. iCLIP

Die Herstellung solcher Geometrien in Mikronadelpflastern war nur möglich, wenn ein grundlegendes Problem des 3D-Drucks von Kunststoffen gelöst wurde: die Überhärtung. Unter Überhärtung versteht man das unbeabsichtigte Schließen von Negativräumen. Dies geschieht, wenn UV-Licht auf bereits ausgehärtete Schichten trifft und die Aushärtung in Räumen erfolgt, die eigentlich negativ sein sollten, wodurch die Auflösung der Z-Achse verringert wird. DeSimone und das Stanford-Labor wollten dieses Problem angehen und eine bessere Auflösung nicht nur in der XY-Ebene, sondern auch in der Z-Achse erreichen.

Um die Lösung des Teams zu verstehen, müssen wir uns zunächst die CLIP-Technologie genauer vergegenwärtigen. Wie bei anderen VAT-Photopolymerisationstechnologien wird auch hier das Harz mit UV-Licht gehärtet. Der entscheidende Zusatz ist ein spezielles Fenster unter dem Harz, das für Licht transparent, aber auch für Sauerstoff durchlässig ist. CLIP steuert den Sauerstofffluss durch dieses Fenster und schafft so eine sogenannte „tote Zone“ im Harzpool, die nur einige zehn Mikrometer dick ist und in der keine Photopolymerisation stattfindet. Diese Lücke erzeugt einen Sog, durch den das Harz kontinuierlich fließt, wenn die Bauplatte angehoben wird. Anstatt also Schicht für Schicht zu drucken, wird ein Objekt in der Harzwanne direkt über der toten Zone hochgezogen, wodurch der Druck 100- bis 1000-mal schneller als bei herkömmlichen 3D-Druckverfahren erfolgen kann. Mit dieser Methode wird eine bemerkenswerte Auflösung in der XY-Ebene erreicht, aber die Z-Achse wird durch Überhärtung beeinträchtigt.

Fast zehn Jahre später führten DeSimone und ein Team aus Stanford iCLIP ein, um dieses Problem zu lösen, und veröffentlichten ihre bahnbrechende Studie im September 2024 im Journal Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS). Bei dieser Technik wird ständig natürlich sauerstoffhaltiges (inhibiertes) Harz durch den gesamten negativen Raum gepumpt, sei es in Kanälen oder in Gittern, wodurch alle Harzreste, die überhärten könnten, ausgespült werden. Bei diesem Verfahren wird der Kunststoff mechanisch in den Spalt gepresst, anstatt ihn durch einen Sog anzusaugen. Dieser Fortschritt ermöglichte die Herstellung von Mikrokanälen mit kleinerem Durchmesser und geringerer Höhe, was die Funktionalität erheblich verbesserte, so dass jetzt Merkmale mit hochauflösenden Pixeln von bis zu 10 bis 25 Mikrometern gedruckt werden können. Generell konzentriert sich das Labor auf die Herstellung mit Licht und versucht, eine Auflösung im einstelligen Mikrometerbereich in allen drei kartesischen Koordinaten zu erreichen.

Diagramme zur Veranschaulichung der mit der iCLIP-Technologie erstellten mikrofluidischen Kanäle (Bild: I.A. Coates, et al./PNAS)

Aber wie nutzt man die PinPrint Mikronadelpflaster?

Mit einer Lösung für die Überhärtung im Schlepptau machten sich DeSimone und sein Team nun zum Ziel, Mikronadelpflaster zu verbessern und mikrofluidische Kanäle zu integrieren. Die Mikronadelpflaster von PinPrint sind noch nicht auf dem Markt erhältlich, aber das Unternehmen testet seine Pflaster derzeit an Menschen. Eines der ersten Medikamente, mit denen PinPrint arbeiten wird, ist Lidocain, ein Lokalanästhetikum, das den Bereich betäubt, auf den es aufgetragen wird. DeSimone argumentiert, dass diese Lidocain-Pflaster an dermatologische Kliniken verkauft werden, um Menschen sofort zu betäuben, anstatt 30 Minuten zu warten, bis eine Betäubungscreme wirkt. Er verglich diesen Geschäftsansatz mit Bowling: „Welches ist der erste Kegel, den man umstoßen will und der weitere Kegel umwirft? Für uns ist das Lidocain der erste Kegel„.

Doch was sind die anderen „Kegel“, die PinPrint zu Fall bringen will? DeSimone sieht Potenzial für die Verwendung der Pflaster zur Sammlung von Zwischenzellflüssigkeit. „Stellen Sie sich vor, Sie gehen in einen Walmart, kleben ein Pflaster auf, gehen einkaufen, lassen das Pflaster an der Kasse liegen und erhalten molekulare Informationen, anstatt eine Venenpunktion und eine Blutabnahme durchzuführen“, sagte er. Ein weiterer Anwendungsfall könnten Impfungen sein – Pharmaunternehmen könnten die Pflaster kaufen und sie mit einem ihrer Impfstoffe füllen.

Ein visueller Vergleich von Mikrokanälen, die mit iCLIP erzeugt wurden, und einem Penny (Bild: I.A. Coates, et al./PNAS)

Eine unternehmerische Sichtweise

In den letzten Jahren stand die Branche der additiven Fertigung eher unter einem düsteren Stern – große Übernahmen und Entlassungen prägten die Firmenlandschaft. Trotzdem meinte DeSimone, dass Carbon die Auswirkungen nicht wirklich gespürt hat. „Ich denke, das liegt vielleicht daran, dass wir uns unermüdlich auf die Fertigung konzentriert haben und darauf, wie wir den 3D-Druck in die reale Fertigung bringen können“, sagte er und verwies auf die frühen Partnerschaften von Carbon mit adidas und Invisalign. „Der Schlüssel dazu ist, dass wir an der Schnittstelle aller drei Bereiche leben: Hardware, Software und Materialien.

Einen Teil des Erfolgs von Carbon führte er auf das Abonnementmodell des Unternehmens zurück: „Wir haben ein Subskriptionsmodell, und es gibt meines Wissens kein anderes Stück Fertigungshardware, das in irgendeinem Industriesektor abonniert wird. Am Anfang waren sogar unsere eigenen Investoren besorgt, ob wir dreijährige Abonnements gegenüber einjährigen Abonnements bekommen könnten, und jetzt, da wir in der Fertigung tätig sind, werden es tatsächlich fünfjährige Abonnements. Wir haben also eine enorme Transparenz bei den Einnahmen: Sie sind vertraglich festgelegt.

Wohin sollten wir unsere Energie lenken?

Auf die Frage, was er jungen Wissenschaftlern und Ingenieuren raten würde, die in der Branche etwas bewegen wollen, brachte DeSimone eine überraschende Idee ins Spiel: „Ich denke, man kann ein ziemlich überzeugendes Argument dafür vorbringen, dass in vielerlei Hinsicht keine weitere Forschung im Bereich grüner, nachhaltiger Polymere erforderlich ist“, begann er. „Man könnte heute einen Schlussstrich ziehen und sagen: OK, nicht mehr, aber setzt um, was ihr habt… Es gibt eine Menge großartiger Produkte, die nicht genutzt werden. Warum ist das so?“ Sein Standpunkt war klar: Es gibt eine Fülle von ungenutztem Potenzial, welches jetzt in die Praxis umgesetzt werden müsse.

Denjenigen, die eine bahnbrechende Technologie auf den Markt bringen wollen, empfiehlt DeSimone das Buch „Crossing the Chasm“ von Geoffrey Moore. „Dieses Buch war unsere Bibel bei Carbon. Es ist unsere Bibel bei PinPrint„, sagt er und unterstreicht damit die anhaltende Relevanz von Moores Erkenntnissen.

Carbon bietet seinen Partnern an, ihre Produktion mit Carbons 3D-Druckern zu skalieren (Bild: Carbon)

Ganz allgemein erkannte DeSimone an, dass sowohl die Unternehmen als auch die Politik eine entscheidende Rolle bei der Förderung des Fortschritts spielen. „Es braucht Unternehmer und politische Veränderungen, und es gibt jetzt eine riesige Chance, sich auf die vertikale Integration zu konzentrieren und die Dinge voranzubringen… Junge Leute sollten darüber nachdenken, wo sie mitspielen wollen“, forderte er und verwies auf das enorme Potenzial für aufstrebende Führungskräfte in diesem Bereich.

DeSimone ging auch auf ein aktuelles Problem ein, welches sich in den USA bereits zeigte: „Wir befinden uns in den Vereinigten Staaten gerade inmitten einer Herausforderung durch den Krieg gegen die Universitäten, und unsere Technologie ist wohl aus diesem Umfeld entstanden“, bemerkte er. „Verstehen Sie mich nicht falsch, ich glaube, dass in der akademischen Forschung Veränderungen notwendig sind, aber ich mache mir Sorgen, ob die Gemeinschaft bereit ist, diese schwierigen Entscheidungen darüber zu treffen, was finanziert werden muss und was nicht.“ Er äußerte die Hoffnung, dass ein besseres Verständnis der Kommerzialisierung nicht alle, aber einige dieser schwierigen Entscheidungen leiten könnte. Letztendlich betonte DeSimone, dass ein Technologieunternehmen nur dann erfolgreich sein kann, wenn es sowohl eine starke Geschäftsstrategie als auch eine solide technologische Grundlage hat. Bei PinPrint ist die Kombination aus strategischer Vision und innovativer Technologie vielversprechend, und wir werden beobachten, wie die Technologie im Gesundheitsbereich aufgenommen wird.

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*Titelbildverweis: I.A. Coates, et al./PNAS

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