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Experteninterview: Hochleistungskunststoffe (PEEK, PEI,…) – Was muss man beim Druck beachten?

Am 23. Mai 2019 von Ann-Kathrin L. veröffentlicht
hochleistungskunststoffe

Im Bereich der additiven Fertigung wurde in den letzten Jahren sehr viel geforscht und entwickelt, vor allem bei 3D-Druckmaterialien, insbesondere den Polymeren. Dazu gehören Hochleistungsthermoplaste bzw. Hochleistungskunststoffe, besser bekannt unter den Abkürzungen PEEK, PEKK und PEI (oder ULTEM) – auch andere Materialien wie PPSU oder PVDF beginnen sich zu entwickeln. Diese eher technischen Materialien sind für immer mehr OEM’s wegen ihrer hohen mechanischen Eigenschaften von Interesse; einige können sogar mit Kohlefaser oder Glas verstärkt werden, was ihnen noch interessantere Eigenschaften verleiht. Obwohl ihre Vorteile zahlreich sind, ist zu beachten, dass sie schwieriger zu drucken sind und anspruchsvolle Kriterien erfüllen müssen um zu erfolgreichen Drucken führen zu können. Deshalb haben wir 3 Experten aus der Branche befragt, um mehr über diese Materialfamilie zu erfahren: Was sind ihre Eigenschaften, wie werden sie verwendet, für welche Anwendungen, etc. Unsere Experten beraten Sie, wie Sie mit Hochtemperaturmaterialien besser drucken und bestimmte Fehler vermeiden können! Bitte beachten Sie, dass sich dieses Experteninterview hautsächlich auf das FDM-Verfahren konzentrieren wird, da zwei unserer Experten aus diesem Bereich kommen und es für viele Unternehmen das wirtschaftlichste Verfahren ist.

Dr. Abraham Avalos ist leitender Wissenschaftler bei AON3D zuständig für deren 3D-Druckforschung. AON3D ist ein kanadischer Hersteller von 3D-Druckern für Hochleistungskunststoffe. Prof. Dr. Brando Okolo ist technischer Leiter und teilhabender Geschäftsführer der Apium Additive Technologies GmbH. Als Materialwissenschaftler und Ingenieur mit mehrjähriger Erfahrung in Forschung und Entwicklung gründete er 2014 das Unternehmen zusammen mit seinem langjährigen Freund Tony Tran-Mai. Alle seine folgenden Aussagen werden sich auf „Hochtemperaturpolymere“ beziehen. Apium ist Hersteller von industriellen 3D-Druckern für Hochleistungskunststoffe. AON3D und Apium stellen beide FDM-Maschinen her, weshalb sich die Aussagen dieser Experten ausschließlich auf diese beziehen. Unser dritter Experte ist Bernd Rauch, Geschäftsführender Gesellschafter der Rauch CNC Manufaktur, einer der führenden 3D-Druckservices für Hochleistungskunststoffe in Europa, der sich seit 2010 mit der additiven Fertigung befasst. Bernd Rauch ist zuständig für den Aufbau und die Gesamtleitung des Unternehmensbereichs AM (Additive Manufacturing). Im Gegensatz zu unseren anderen Experten hat Bernd Rauch nicht nur Erfahrung mit FDM, sondern auch mit dem SLS Verfahren, sowie dem „ThermoMelt“ Verfahren, das auf einem Patent von AIRBUS beruht und das Rauch AM als Pilotanwender im Haus hat.

3D-Druck von Hochtemperatur- und/oder Hochleistungskunststoffen: Welche Vorteile bieten sie der Industrie?

Hochleistungspolymere bieten eine Vielzahl von Vorteilen für Unternehmen, die additive Fertigung einsetzen. Diese lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: thermische Eigenschaften, mechanische Eigenschaften und andere Resistenz gegen verschiedene Lösemittel, Säuren und Basen. Bernd Rauch merkt zu den Vorteilen der Materialien an: „Hochtemperatur- und/oder Hochleistungskunststoffe geben uns Möglichkeiten neue Anwendungsfelder für die additive Fertigung zu erschließen, die mit den bisherigen RP Materialien wie Nylon oder ABS nicht möglich waren. Hochleistungskunststoffe werden dadurch mehr Serienanwendungen ermöglichen.“ Auch Brando Okolo stimmt zu, dass Hochtemperaturpolymere den Weg für neue Anwendungen frei machen, da sie sich nicht wie andere Kunststoffe bei leichten Temperaturerhöhungen verformen: „Mit der erfolgreichen Synthese von Polymeren, die relativ hohen Betriebstemperaturen standhalten, wurden neue Möglichkeiten für die Anwendung von Kunststoffen geschaffen.“

Abraham Avalos geht genauer auf die Temperaturbeständigkeit und die damit verbundenen Vorteile der verschiedenen Hochleistungspolymere ein: „PEEK beispielsweise bietet eine Betriebstemperatur von über 240°C und behält seine Steifigkeit bis zu 170°C. In Verbindung mit der Tatsache, dass viele dieser Thermoplaste auch bei Flammeneinwirkung sehr wenig Rauch und Gas abgeben, werden PEEK, PEKK, ULTEM™ und PPSU oft für anspruchsvolle Anwendungen in Betracht gezogen.

Ein weiterer Vorteil des 3D-Drucks mit Hochleistungswerkstoffen sind ihre mechanischen Eigenschaften. Avalos: „Von hoher Schlagzähigkeit über ausgezeichnete Steifigkeit bis hin zu Verschleiß- und Abriebfestigkeit – es gibt viele Gründe, warum die PAEK-Familie und die PEI-Polymerfamilie häufig als Metallersatz eingesetzt werden.“ Brando Okolo fügt hinzu: „Sie behalten ihre strukturelle Stabilität und halten lange Betriebszeiten aus.

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Mit dem AON3D M2 3D-gedrucktes Teil. Bildnachweis: AON3D

Abraham Avalos erklärt außerdem noch, wie weitere Materialvorteile von Hochleistungspolymeren in verschiedenen Industrien von Vorteil sind: „PEEK und PEKK widerstehen einer Vielzahl von Chemikalien und Lösungsmitteln sowie Beta-, Gamma- und Röntgenstrahlen. Viele ULTEM-Typen bieten besondere chemische Beständigkeitseigenschaften, die in der Luft- und Raumfahrt sowie in der Automobilindustrie nützlich sind.“ Er fasst zusammen: „Die Kombination dieser Eigenschaften über die verschiedenen Qualitäten von Hochleistungs-Thermoplasten hinweg und die Möglichkeit, Füllstoffe wie Kohlefaser oder Glasfaser hinzuzufügen, bietet Designern und Ingenieuren eine Vielzahl von Möglichkeiten.“ Auch Brando Okolo stimmt zu, dass Hochleistungspolymere durch all ihre Vorteile in einer Vielzahl von Anwendungen eingesetzt werden können.

Welche Anforderungen haben Hochleistungskunststoffe beim 3D-Druck?

Um erfolgreich mit Hochleistungskunststoffen drucken zu können, muss man einige unumgängliche Grundvoraussetzungen erfüllen. Bernd Rauch zählt diese auf. Natürlich sollte man als erstes über die nötige Hardware wie spezielle Hochtemperatur Maschinen – egal ob SLS, FFF, FDM oder andere Verfahren, einschließlich Peripherie verfügen: So sollte ein solcher industrieller 3D-Drucker ein hochpräzises Wärmemanagement bieten, meint Avalos. „Maschinen, denen ein gut durchdachtes Wärmemanagement fehlt, können die Barrieren für qualitativ hochwertige Drucke erheblich erhöhen.“ Neben einem geeigneten 3D-Drucker sind laut Bernd Rauch auch eine Peripherie für die Datenaufbereitung und für die Nacharbeiten essentiell.

Hochleistungskunststoffe

Bild aus der Produktion von RAUCH mit den beiden SLS Maschinen von EOS (P810 im Vordergrund und P800 im Hintergrund). Bildnachweis: Rauch

Der nächste wichtige Punkt ist das Know-How in der Verarbeitung von Kunststoffen allgemein sowie im Umgang mit den Maschinen. Laut Bernd Rauch sollte man, wenn man mit Hochleistungskunststoffen arbeiten möchte auch eine Bereitschaft zum Lernen und Ideen zu entwickeln vorweisen: „Die Arbeit beschränkt sich ja nicht nur auf den Druck allein. Vieles muss man sich selbst erarbeiten und durch probieren erlernen“, sagt er. Außerdem sollte man über viel Enthusiasmus für das „Additive Manufacturing“ verfügen, sowie Durchhaltevermögen auf allen Ebenen über mindestens 5-7 Jahre.

Sobald man diese Grundkriterien erfüllt, kann man über das tatsächliche Drucken und die wichtigsten Parameter dafür nachdenken. Brando Okolo über die wichtigen Parameter für FDM-Maschinen: „Temperatur, Druckgeschwindigkeit, Extrusionsrate und Retraktion sind einige der wichtigsten 3D-Druckparameter für die Verarbeitung von Materialien wie PEEK, ULTEM, PEKK etc.“

Abraham Avalos geht des Weiteren auf die entscheidenden Temperaturbereiche eines FDM-3D-Druckers für Hochleistungsmaterialien ein; die Extruderdüse, das Druckbett und die beheizte Druckkammer. Er erklärt die Wichtigkeit der richtigen Extrudertemperatur: „Wenn die Düsentemperatur zu hoch ist, kann es zu Bauteilverformungen und Filamentaustritten kommen. Zu niedrig, und die Schweißnaht zwischen den Schichten wird geschwächt, zusammen mit dem schlechten Druck von feinen Merkmalen aufgrund der erhöhten Polymerviskosität“.

PEEK-Teile in der Druckkammer des Apium P220. Bildnachweis: Apium

Auch die passende Temperatur des Druckbetts ist von großer Bedeutung für das Gelingen des Drucks, Avalos: „Die Temperatur des Druckbetts beeinflusst die Haftung der ersten gedruckten Schicht auf der Bettoberfläche und wird in der Regel auf die Glasübergangstemperatur des Materials eingestellt. Zu hohe Betttemperaturen können dazu führen, dass die erste Schicht zu stark auf dem Bett haftet, was eine Entfernung des Teils nahezu unmöglich macht und das Bett beschädigen kann. Wenn das Bett zu kalt ist, kann die erste Schicht nicht fest haften, und das Teil kann sich verziehen oder während des Druckvorgangs verschieben.

Auch die Temperatur der Heizkammer ist, laut Avalos, ein Schlüsselelement zum Gelingen des Drucks, und „zur Unterstützung einer starken Zwischenschichtverklebung und zur Vermeidung von Schrumpfung wenn das Material von geschmolzenem zu festem Zustand wechselt. Sie [die richtige Temperatur] reduziert auch die Eigenspannungen innerhalb des Teils, die zu Rissen und Verformung führen können. Die Kammertemperatur wird in der Regel leicht unter der Glasübergangstemperatur des Materials gehalten.“

Hochleistungskunststoffe

Mit PEEK gedrucktes Teil. Bildnachweis: Apium

Während diese drei Temperaturen für den Druckprozess sehr wichtig sind, darf das Phänomen der Kristallisation dieser Materialien nicht vernachlässigt werden, da dies das Endergebnis beeinflusst. Generell bestehen besondere Schwierigkeiten beim Drucken teilkristalliner Materialien wie PEEK und PEKK. Da sie dazu neigen, Kristalle in Umgebungen zu bilden, die heißer sind als ihre Glasübergangstemperatur, führt diese Kristallisation zuerst zu Schrumpfung, dann zu Verformung und schließlich zum Ablösen vom Bett, oft noch bevor der Druck überhaupt fertig ist.

Dr. Avalos erklärt: „Bei richtiger Handhabung ist die Kristallisation eine Schlüsselkomponente, um die Hochleistungseigenschaften von PEEK und PEKK zu erreichen. Während die Glasübergangstemperatur von PEKK beispielsweise bei etwa 160°C liegt, können gut kristallisierte Teile unter Bedingungen von bis zu 250°C eingesetzt werden. Das Vorhandensein von Kristallstrukturen in einem Teil bietet eine höhere mechanische Festigkeit und chemische Beständigkeit, die nur durch Wärmebehandlung oder Tempern von Druckteilen nach dem Druck erreicht werden kann.“

Für welche Anwendungen werden Hochleistungskunststoffe verwendet und wie wählt man das richtige Material?

Allgemein lässt sich sagen, dass keiner der verschiedenen Hochleistungskunststoffe, „der Beste“ ist. Bernd Rauch: „Man muss einfach prüfen, welches Material am besten für die jeweilige Anwendung geeignet ist.“ Das gleiche gilt für die verschiedenen Technologien, mit denen man die Materialien drucken kann. Bernd Rauch dazu: „Man muss ganz eindeutig sagen: ‚Es kommt auf die Anwendung an’. Wir haben inzwischen drei Technologien für Hochtemperaturkunststoffe wie PEEK im Haus, vom SLS- über das ThermoMelt- bis zum FFF-Verfahren können wir alles anbieten. Jedes Verfahren hat seine besonderen Stärken und Schwächen. Deshalb sind wir auch stets für neue Verfahren offen.“

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SLS Bauteil aus PEEK natur. Das Design zeigt, warum die additive Fertigung hierfür interessant ist. Bildnachweis: Rauch

Da Hochtemperaturpolymere im Vergleich zu den am häufigsten verwendeten Kunststoffen hervorragende mechanische Eigenschaften aufweisen, werden sie oft „für Anwendungen eingesetzt, in denen Leichtbau, Verschleißfestigkeit, Langlebigkeit, chemische Beständigkeit und Flammschutz gefragt sind“, sagt Okolo. „Die Luft- und Raumfahrt, Flugzeuge, rotierende Maschinen, Öl und Gas sowie die chemische Industrie sind einige der Branchen, in denen diese Materialien wertvolle Anwendungen finden.“ Bernd Rauch fügt hinzu: „Für die Luft- und Raumfahrt sind beide Materialien [PEEK und PEI] aufgrund ihrer Festigkeit und wegen ihrer inhärenten Schwerentflammbarkeit interessant. Andere Industriezweige benötigen das sehr geringe Ausgasverhalten des PEEK.“

Dr. Avalos geht noch genauer auf die verschiedenen Anwendungsbereiche sowie die Vor und Nachteile von PEEK und PEKK ein: „Abhängig von der Sorte bietet PEEK eine etwas höhere Dauerbetriebstemperatur als PEKK und einen niedrigeren Preis, was dazu führt, dass PEEK mehr Aufmerksamkeit von Hochtemperaturanwendungen in allen Industriezweigen erhält, darunter Fertigung, Automobil, Automobil, Automobil, Luft- und Raumfahrt, Verteidigung und mehr. PEKK bietet jedoch einzigartige Eigenschaften wie eine höhere Druckfestigkeit als PEEK und ist typischerweise bei großen Bauteilgeometrien einfacher zu drucken.

Brando Okolo von Apium erklärt zudem die Vorteile, die PEEK auch für die Anwendung in der Medizin hat: „PEEK wird aufgrund seiner Biokompatibilität, seiner chemischen Inaktivität und der Tatsache, dass es dem menschlichen Knochen mehr ähnelt als bestehende metallische implantierbare Materialien, vor allem im medizinischen Bereich zur Herstellung von implantierbaren und nicht implantierbaren medizinischen Produkten eingesetzt.“

Eine Anwendung im medizinischen Bereich. Bildnachweis: Apium

Sonstige Ratschläge unserer Experten für den Druck mit Hochleistungsthermoplasten

Bernd Rauch, möchte Ihnen noch eine wichtige Sache mit auf den Weg geben: „Bauteile aus Hochleistungskunststoffen sind um ein Mehrfaches teurer als man das vom RP mit preiswertem Nylon gewohnt ist. Dadurch verändern sich auch die erzielbaren Einsparpotentiale. Für eine erste grobe Prüfung geben wir deshalb oft folgenden Leitsatz weiter: ‚Alles was man konventionell durch fräsen, drehen oder sonstige mechanische Bearbeitung herstellen kann sollte so auch hergestellt werden.’“

Ein aus carbonfaserverstärktem PEEK mit SLS 3D-gedrucktes Teil mit Leichtbaudesign. Bildnachweis: Rauch

Wenn Sie sich schlussendlich für die Herstellung mit Hochleistungskunststoffen und dem Kauf eines Druckers entschieden haben, rät Dr. Avalos auf jeden Fall eine gute Beziehung zu einem Druckerhersteller herzustellen, welcher auch über die materialwissenschaftliche Expertise verfügt, um Sie dabei zu unterstützen, die besten Ergebnisse für Ihre Anwendung zu erzielen.

*Bildnachweis Beitragsbild: AON3D*

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